Wilhelm-Leuschner-Schule auf Kurs zur Mittelstufenschule / Haupt- und Realschule soll aufgelöst werden

Darmstädter Echo vom 26.01.2023: „Fit machen fürs Berufsleben“ Wilhelm-Leuschner-Schule auf Kurs zur Mittelstufenschule / Haupt- und Realschule soll aufgelöst werden.
 
Mit 14 Jahren in die Metallwerkstatt, ins Autohaus, in die Großküche? Das erwartet die Kinder, die demnächst nach der vierten Klasse auf die Wilhelm-Leuschner-Schule wechseln. Zumindest tageweise sollen die Schülerinnen und Schüler in die Praxis schnuppern. Sie fit fürs Berufsleben zu machen, und zwar frühzeitig: Das ist eines der ehrgeizigen Ziele des Kollegiums. Dafür wird die Schulform ab dem Spätsommer, wenn’s gut läuft, komplett umgekrempelt: Aus Darmstadts einziger Haupt- und Realschule wird dann eine Mittelstufenschule. Den Kindern und Jugendlichen kann das einiges an handfesten Chancen bringen, glaubt die Schulleitung.
 
Beim Ortstermin am westlichen Zipfel von Bessungen überrascht Frauke Wulff-Meyer erstmal mit der Feststellung: „Die Haupt- und Realschule ist tot.“ Auch, wenn die engagierte Schulleiterin sich viele Jahre in der tradierten Schulform für ihre Schülerinnen und Schüler reingehängt hat: Die Darmstädter Familien haben das Aus faktisch besiegelt, und zwar mit der jährlichen Anmeldung zur weiterführenden Schule.
 
Mehr als 70 Prozent der hiesigen Schuleltern schicken ihr Kind inzwischen an ein klassisches Gymnasium, wenige zur Gesamtschule. Am anderen Ende der Skala liegt die Hauptschule. „Da hatten wir zuletzt kaum noch Anmeldungen“, sagt Wulff-Meyer. „Wir krebsen jedes Jahr, um die 13 Schüler für eine fünfte Klasse zusammenzukriegen.“
 
Das ist die Mindestanforderung, um überhaupt eine einzügige Hauptschule führen zu können. Gründe sehen die Pädagoginnen der Schulleitung viele.
 
Der eine ist die Attitüde vieler Eltern, sich nicht um die Empfehlungen der Grundschul-Lehrkräfte zu scheren. „Egal, was die sagen, alle rennen aufs Gymnasium“, sagt Wulff-Meyer. Mindestens Realschule. Ihre Kollegin Kerstin Westphal, stellvertretende Schulleiterin, benennt die Folgen: „25 Prozent der Realschüler in Klasse fünf hatten eigentlich eine Hauptschul-Empfehlung.“ Und können dann die Klasse oft nicht halten. In Zahlen: Die jetzige Hauptschulklasse 6 hatte vor einem Jahr mit 13 Kindern angefangen, jetzt lernen dort 22. Alles keine idealen Bedingungen, um die Kinder zum Lernen zu motivieren, oder neugierig zu machen für eine Ausbildung.
 
Noch ein Phänomen unserer Tage: „Viele wissen einfach nicht, was sie nach der Schule machen sollen“; sagt Wulff-Meyer; „je höher die Schulform, desto schlimmer.“ Das soll sich ab dem nächsten Schuljahr ändern. Denn dann geht’s in die Praxis.
 
Schon ab der fünften Klasse steht Berufsorientierung auf dem Plan der hessischen Mittelstufenschulen. Viele sind es nicht; in der Nähe arbeiten Kollegien in Dieburg und Otzberg mit dieser Schulform – hier hatte Wulff-Meyer zuletzt die Schule geleitet. Das Kultusministerium beschreibt den Kern des Ganzen so: „Die zentrale Zielsetzung der Mittelstufenschule ist das Gelingen des Übergangs Schule – Beruf.“ Dafür tun diese Schulen mehr als viele andere.
 
So steht „praxis- und handlungsorientierter Unterricht“ von der Fünften bis zur Zehnten auf dem Zettel, in steigender Intensität. Arbeitslehre ist Pflicht, ebenso Betriebserkundungen und Praktika. Die Achtklässler besuchen einmal pro Woche schon mal eine Berufsschule, nehmen dort am Unterricht teil, testen mindestens vier mögliche Berufsfelder. So finden sie sich mal am Herd einer Großküche wieder, mal in der Diagnostik-Abteilung einer Autowerkstatt oder in einer Reha-Praxis – das ist die Idee. Nach den passenden Partnern streckt das Leuschner-Kollegium schon längst die Fühler aus.
 
Die Berührungsängste zu den Betrieben sind dann weg“, sagt Lehrerin Westphal. Sie hofft, „dass sich dann mehr Schüler trauen, in eine Berufsausbildung zu gehen“, statt lange Runden in weiteren Schulformen und Bildungsgängen zu drehen. Wenn die Schüler alle vier Berufsfelder mal probiert haben, „entscheiden die sich sicherer für ein Berufsfeld.“ Was zu ihnen passt, „das merken die ganz schnell.“
 
Vieles mehr ändert sich im Vergleich zur alten Haupt- und Realschule. Gemeinsames Lernen bis Klasse acht, allerdings mit der Möglichkeit zur Differenzierung, je nach Leistungsstand. Fächerübergreifende Projekte. Lernen in kleinen Gruppen. Klingt aus Sicht der Schülerschaft und der Lehrkräfte verlockend – es müssen freilich auch die Eltern mitmachen.
 
Auch da schaut’s gut aus an der Leuschnerschule. Aus der Schülerschaft, 500 Köpfe zählend, dem Kollegium (50) und der Elternschaft stimmten zuletzt 98 Prozent für den Neustart als Mittelstufenschule. Fehlt nur noch die amtliche Genehmigung. Zustimmen müssen die Stadt Darmstadt als Schulträger und das Kultusministerium.
 
In der alten Haupt- und Realschule stehen alle in den Startlöchern. Schulleiterin Wulff-Meyer sagt. „Ich wünsche mir, dass wir im nächsten Schuljahr mit der ersten Mittelstufenklasse fünf anfangen können.“

Quelle: Bericht von Thomas Wolff, Darmstädter Echo vom 26.01.2023